Mehr zu den Grenzen der Variabilität in der Sprache
Die Sprachfähigkeit ist Teil des kognitiven Systems und wird daher sowohl durch die Architektur des nicht-deterministischen Gehirns als auch durch die kognitiven Grenzen des einzelnen Sprachverwenders begrenzt. Gleichzeitig ist Sprache ein Werkzeug für soziale Interaktion und Kommunikation und muss deshalb Mechanismen bereitstellen, die es dem Sprachverwender ermöglichen, in einer Vielzahl von Diskurskontexten und Kommunikationssituationen erfolgreich zu kommunizieren.
Diese doppelte Natur der Sprache erfordert bestimmte Merkmale oder Eigenschaften des zugrundeliegenden Sprachsystems, die eine Variabilität der Sprache ermöglichen, wobei Variabilität hier als Bandbreite möglicher alternativer sprachlicher Verhaltensweisen definiert ist. Dieser Variabilität des Sprachverhaltens sind jedoch notwendigerweise Grenzen gesetzt. Erstens gibt es kognitive Restriktionen, die die Verarbeitung übermäßig komplexer syntaktischer Strukturen behindern können (z. B. können Limitierungen des Arbeitsgedächtnisses und/oder der Aufmerksamkeitskapazität die Verarbeitung bestimmter Arten von Relativsätzen beeinflussen). Zweitens ist Sprachgebrauch eine koordinierte Handlung. Damit sprachliche Kommunikation erfolgreich verläuft, müssen sprachliche Strukturen und deren Bedeutungen in konventionalisierter Weise zwischen den Mitgliedern einer Gruppe von Sprachbenutzern koordiniert und an die jeweiligen kontextuellen oder kommunikativen Situationen angepasst werden. Solche Koordinationen und Anpassungen stellen sicher, dass die durch die externalisierten sprachlichen Formen ausgedrückten Bedeutungen zuverlässig interpretiert werden. Das Ergebnis dieser Koordinationsprozesse sollte sich in den Sprachsystemen der einzelnen Sprachverwender widerspiegeln und kann langfristig zu einem Sprachwandel führen. Die einfache Tatsache, dass ein Individuum potenziell ein breites Spektrum an verfügbaren sprachlichen Verhaltensweisen zeigen kann, bedeutet also nicht, dass „alles möglich ist". Wenn Sprachverwender beispielsweise die Grenzen überschreiten, die ihnen entweder durch ihr eigenes Sprachsystems oder durch die sprachlichen oder nichtsprachlichen Systeme ihrer Gesprächspartner gesetzt sind, kann die Kommunikation scheitern, weil die sprachliche Äußerung nicht verarbeitet werden kann und die beabsichtigte Botschaft nicht übermittelt wird.
Dieser SFB untersucht systematisch die Variabilität und deren Grenzen in einem breiten Spektrum sprachlicher Verhaltensweisen, um die Organisation und die Grenzen des zugrundeliegenden Sprachsystems zu identifizieren. Grenzen der Variabilität können beobachtet werden, wenn sprachliches Verhalten relativ konsistent ist, d. h. resistent gegen Einflüsse von kognitiven Faktoren oder kommunikativen Situationen, Konventionen und Veränderungen, und/oder wenn es relative Konsistenz zwischen und innerhalb von Sprachen, Gruppen von Sprachverwendern und Individuen aufweist. Wir gehen davon aus, dass solche Fälle konsistenten Verhaltens auf stabile und starke Beschränkungen im zugrunde liegenden Sprachsystem hinweisen. Gleichzeitig kann konsistentes Verhalten bei Individuen und Gruppen von Sprachbenutzern auch durch sprachexterne Faktoren bedingt sein, wie z. B. räumliche Merkmale bei Sprachkontakt, funktionale Aspekte der Kommunikation oder kognitive Faktoren. Dies zeigt, dass sich die Grenzen der Variabilität im Laufe der Zeit dynamisch verändern können.
Wir argumentieren, dass die systematische Untersuchung der variablen Aspekte des Sprachverhaltens einerseits und ihrer (dynamischen) Grenzen andererseits wichtige Einblicke in die Natur der Sprachsysteme von Sprachbenutzern sowie in die Natur der menschlichen Sprache im Hinblick auf sprachexterne Faktoren im Allgemeinen liefern wird.