Projekt A01 (beendet)
Integration sprachlicher Ressourcen in hochdiversen urbanen Kontexten, die die Grenzen der Variabilität ausloten.
PI(s): Prof. Dr. Heike Wiese & Prof. Dr. Ulrike Freywald
Das Projekt untersucht den mehrsprachigen Kontext eines urbanen Straßenmarktes, des Maybachufermarktes in Berlin-Neukölln, auf dem Sprecher*innen regelmäßig auf eine große Bandbreite sprachlicher Ressourcen zugreifen. Während bisherige Forschungen zu solchen Kontexten die charakteristische Diversität und Fluidität fokussierten, hebt unsere Untersuchung auf Grenzen der Variabilität ab und wird von der Hypothese geleitet, dass die beobachtbare und mitunter chaotisch anmutende Variabilität keine Beliebigkeit etabliert, sondern durch systematische Muster und Restriktionen beschränkt wird.
In unserer Untersuchung zu Sprachstruktur, Sprachgebrauch und Spracheinstellungen kombinieren wir ethnographische und soziolinguistische Methoden mit grammatischer Analyse und theoretischer linguistischer Modellierung. Schwerpunkte sind die Struktur nichtkanonischer Formen in der NP/DP-Domäne, Klassifikatorkonstruktionen, der Gebrauch der Kopula, Codeswitching und sprachliche Identitätskonstruktionen, die unter anderem in Anredeformen reflektiert werden.
Unsere Datenbasis umfasst (i) audiovisuelle Aufnahmen von Verkaufsinteraktionen, (ii) detaillierte soziolinguistische Interviews und Fokusgruppeninterviews mit kooperierenden Verkäuferinnen auf dem Markt, (iii) Kurzinterviews mit Besucherinnen des Marktes, (iv) ethnografische Feldnotizen, (v) Notizen aus teilnehmender Beobachtung und (vi) einen Akzeptabilitätstest zu grammatischen Mustern. Neben Analysen zum Maybachufermarkt haben wir eine Pilotstudie zu vergleichbaren Mustern auf Straßenmärkten im Ruhrgebiet durchgeführt.
Ergebnisse aus unseren Untersuchungen weisen auf eine große inter- und intraindividuelle Variabilität, die jedoch durch systematische Muster auf grammatischer, pragmatischer und soziolinguistischer Ebene beschränkt werden. In Anlehnung an das Konzept eines kontaktsprachlichen „Jargons“ (Velupillai 2015) erfassen wir dies als „urbanen Marktjargon“, den wir als integrative sprachliche Praxis verstehen, die charakterisiert ist durch (i) Zugriff auf eine räumlich determinierte, aber prinzipiell offene Bandbreite sprachlicher Ressourcen, bei (ii) großer Freiheit im Gebrauch individueller ad hoc-Lösungen, aber zugleich gesteuert durch (iii) lokale Gepflogenheiten bezüglich Sprachwahl und -dominanz und (iv) einen gemeinsamen Kern wiederkehrender struktureller Muster. (Velupillai, V.( 2015). Pidgins, Creoles and Mixed Languages. Amsterdam, Philadelphia: Benjamins)
Papers
Autoren | Titel | Jahr | Erschienen in | Links |
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Wiese, H. | Contact in the City. | 2020 | R. Hickey (ed.), The Handbook of Language Contact (2nd ed., pp. 261-279). Malden, MA: Wiley-Blackwell. DOI: 10.1002/9781119485094.ch13 | |
Yüksel, S., & Duman, I. | Codeswitching auf einem hochdiversen urbanen Wochenmarkt: Kommerz, Kommunikation und Identität. | 2021 | Linguistik Online, 110(5), 157–192. DOI: 10.13092/lo.110.8143 | |
Duman Çakır, I. | Negotiation of resources in everyday activities of a multilingual Berlin street market: a linguistic ethnography approach. | 2022 | Multilingua: Journal of Cross-Cultural and Interlanguage Communication. DOI: 10.1515/multi-2021-0065 | |
Wiese, H., & Freywald, U. | Regionalsprachliche Merkmale In Jugendsprachlichen Praktiken Im Multilingualen Urbanen Raum. | 2019 | J. Herrgen, J. E. Schmidt, unter Mitwirkung von H. Fischer & B. Ganswindt (Eds.), Sprache und Raum - Ein internationales Handbuch der Sprachvariation (pp. 995-1012). Berlin, Boston: De Gruyter Mouton. | |
Wiese, H. | Communicative situations as a basis for linguistic systems: Integrating linguistic multi-competence with grammatical structure. | 2021 | Urban Language & Literacies (Vol. 287, pp. 1-33). |