Prof. Dr. Gisbert Fanselow (1959-2022)

Quelle: Thomas Roese

Gisbert Fanselow war ein Begründer der modernen generativen Syntaxforschung in Deutschland. Er studierte von 1977-1983 in Regensburg und Konstanz u.a. bei Peter Staudacher, Arnim von Stechow und Urs Egli. Seine erste Buchpublikation bei Niemeyer (1981; „Zur Syntax und Semantik der Nominalkomposition“) entstand aus einer studentischen Seminararbeit.

Nach dem Magisterabschluss in Theoretischer Linguistik sowie deutscher und englischer Sprachwissenschaft in Konstanz arbeitete Fanselow von 1983 bis 1993 an der Universität Passau, wo er auch promovierte (1985) und habilitierte (1989). In dieser Zeit verfasste er zusammen mit seinem Mentor und Doktorvater Sascha Felix eine der meistgelesenen deutschsprachigen Einführungen in die generative Sprachwissenschaft, „Sprachtheorie“ (Bd.1 & 2, UTB, 1987), die einen nachhaltigen Einfluss auf Generationen von Sprachwissenschaftler*innen hatte.

Seit 1993 war Gisbert Fanselow Lehrstuhlinhaber der C4-Professur für Grammatiktheorie mit Schwerpunkt Syntax am neugegründeten Department für Linguistik an der Universität Potsdam, das er zusammen mit Gisa Rauh aufbaute und in seiner generativen, kognitionswissenschaftlichen Ausrichtung prägte. In Zusammenarbeit mit Reinhold Kliegl aus der Psychologie gelang es ihm, die Potsdamer Linguistik als Teil der modernen Kognitionswissenschaft zu etablieren. Maßgeblich dazu beigetragen hat auch Fanselows Sprecherschaft im Innovationskolleg „Formale Modelle kognitiver Komplexität“ (1994-1999) und in der DFG-Forschungsgruppe „Konfligierende Regeln“ (1999-2003). Zusätzlich hatte Fanselow großen Anteil an der Einwerbung des SFB632 „Informationsstruktur“, einer Kooperation der Humboldt-Universität zu Berlin und der Universität Potsdam. Auch an der Planung und Beantragung des an der Universität Potsdam laufenden SFB1287 „Die Grenzen der Variabilität in der Sprache: Kognitive, komputationale und grammatische Aspekte“ war er wesentlich beteiligt.

Gisbert Fanselow war wissenschaftlich breit aufgestellt und hat in seiner langen und erfolgreichen Karriere zu einer Vielzahl von empirischen Phänomenen, theoretischen Problemen und methodischen Fragestellungen in den unterschiedlichsten Sprachen gearbeitet, darunter Parameterisierung, Konfigurationalität, Wortstellung, Split NPs, w-Fragen, Informationsstruktur, Skopus, die Methodik von Akzeptabilitätsstudien, die Grenzen von grammatischen Systemen, etc. Er war einer der größten Kenner der germanischen Syntax und ein ausgewiesener Experte zu Fragen der VO- vs. OV-Parameterisierung in natürlichen Sprachen. Sein letztes Forschungsprojekt im SFB1287 „Syntaktische Implikation der Stellung von Kopf und Argument“ widmet sich noch einmal diesem Problem aus einer breiten typologischen Perspektive mit Sprachsamples aus sämtlichen großen Sprachfamilien der Welt.

Gisbert Fanselow war ein Vorbild für Generationen von Syntaktikerinnen durch seinen Enthusiasmus, seine Neugierde, seine Bescheidenheit, und durch sein tiefes Interesse am Wohlergehen der Studierenden. Er war stets ansprechbar und nahm sich immer soviel Zeit, wie die Studierenden brauchten. So war er an der Ausbildung von zahlreichen namhaften Sprachwissenschaftlerinnen beteiligt: Artemis Alexiadou, Julia Bacskai-Atkari, Joanna Blaszczak, Ina Bornkessel-Schlesewsky, Damir Cavar, Susann Fischer, André Meinunger, Florian Schäfer, Matthias Schlesewsky, Luis Vicente, Ralf Vogel, Marta Wierzba und vielen anderen. Auch in seiner Eigenschaft als Fachgutachter bei der DFG hat Fanselow starken Einfluss auf die Entwicklung der Sprachwissenschaft in Deutschland genommen. Er hat in allen wesentlichen Zeitschriften publiziert, sein letzter veröffentlichter Aufsatz in Glossa (Fanselow et al., 2022) beschäftigt sich mit einer neuen experimentellen Methode zur Untersuchung von inversem Quantorenskopus im Deutschen.

Sein großes Interesse galt neben der Linguistik auch dem Umwelt-, Klima- und Artenschutz. Er war eine wichtige Stimme in der Umweltkommission der Universität Potsdam, war im Beirat der „Scientists for Future“ aktiv und hat mit „climatewednesday.org“ eine Initiative für die Reduktion von Flugreisen im Wissenschaftsbetrieb gegründet, die ihm sehr am Herzen lag.

Seine plötzliche Erkrankung hat Gisbert völlig unerwartet mitten aus einem aktiven Forscherleben gerissen. Gisbert hatte noch viele Pläne und war gerade dabei, ein weiteres Forschungsprojekt zu w-Fragen aus typologischer Perspektive vorzubereiten.

Sein Tod hinterlässt eine riesige, nicht zu füllende Lücke in der deutschen Sprachwissenschaft und am Department für Linguistik an der Universität Potsdam. Die Kolleg*innen am Department werden Gisbert wegen seiner umfassenden linguistischen Expertise vermissen, aber vor allem auch wegen seiner Freundlichkeit, seiner Neugier, seiner Kollegialität und Hilfsbereitschaft und der Bereitschaft, persönliche Eitelkeit stets hinter das Große und Ganze zu stellen.

Wir trauern um Gisbert Fanselow als Freund und Kollegen und sind mit unseren Gedanken bei seiner Familie.